Gegen die Kulturkürzungen

STATEMENT bekult, Dachverband der Berner Kulturveranstalterinnen und Kulturveranstalter

Sorge tragen zum Tafelsilber, bitte!
Die Stadt Bern untergräbt ihre eigene Kulturpolitik

Eine Kulturstadt, ob Metropole oder mittelgross wie Bern, zeichnet sich durch ihre Breite und Vielfalt aus. Das Zusammenspiel der Formen und Sparten, die Balance zwischen grosser Geste und feinem Strich, der Mehrklang von sehr unterschiedlichen Spielorten – ganz einfach, dass jede und jeder in der Kultur bekommt, wonach sie Lust haben und wohin es sie gerade zieht: Diese weite, bunte Bühne, das ist das Tafelsilber einer Kulturstadt.

So etwas entsteht nicht von heute auf morgen. Das wächst, baut sich auf und kommt, oft erst über Jahre und Jahrzehnte, allmählich zueinander. Die Stadtgalerie, die jetzt geschlossen werden soll, reicht zurück bis in die 70er-Jahre, als es in Bern eine auch international beachtete Kunst-Avantgarde gab. Der Künstler und Bluesgitarrist George Steinmann hatte 1976 in der «Berner Galerie», der Vorläuferin der heutigen Stadtgalerie, eine vom damaligen Kunsthalle-Direktor Johannes Gachnang kuratierte Ausstellung – ein erster prominenter Auftritt für den jungen Kunstschaffenden. Sollte die Stadtgalerie Ende Jahr tatsächlich schliessen müssen, wäre Steinmann einer der letzten Künstler, die dort gezeigt würden – auf Mitte Oktober ist die Eröffnung einer Ausstellung von ihm geplant, unter dem Titel «Future now», ausgerechnet. Es wäre ein bitterer Kreis, der sich dieserart schliessen würde.

Eine bewegte und bewegende Kunstszene, Kellertheater und ein erstes internationales Festival kleiner Bühnen, und mit dem Kellerkino das erste alternative Kino der Schweiz: Damals, gut 50 Jahre ist es her, wurden Grundlagen für Vieles geschaffen, was unterdessen selbstverständlich zum Berner Kulturleben gehört. Erheblichen Anteil daran, dass so viel möglich wurde, kommt der Kulturförderung zu, welche in der Stadt Bern ab den Siebzigerjahren einsetzte, als ein Kultursekretariat eingerichtet und Fachkommissionen gebildet wurden.

Die ersten, noch zaghaften Fördermassnahmen stützten einerseits Kleintheater und Kunstorte wie die «Berner Galerie» ganz direkt in ihren Betriebskosten. Andererseits, und für die weitere Entwicklung zur Kulturstadt Bern noch wegweisender, bildeten sich dadurch auch erste Strukturen eines professionellen Kulturbetriebs, der mehr umfasst als nur das Stadttheater, das Symphonie-Orchester und die Museen – das damals übliche Kulturangebot einer europäischen Stadt von der Grösse Berns. Die Kulturförderung und die Perspektiven, die sich dadurch eröffneten, haben die Abwanderung junger Kulturschaffender aufgehalten, weil die sich vermehrt für Bern als ihren Arbeitsplatz entschieden. Für den Film trifft dies ganz explizit zu: Die Einführung eines städtischen Filmkredits in den 70er-Jahren trug massgeblich zur Entwicklung eines eigenständigen Berner Filmschaffens bei.

Beide sind gewachsen seither, der Kulturbetrieb und die öffentlichen Kulturausgaben. Es war, ganz ohne Ironie, ein gegenseitiges Geben und Nehmen: Die Bevölkerung von Stadt und Region bekommt etwas fürs Geld, das sie jedes Jahr für die Kultur ausgibt, davon kann sie sich täglich an sehr vielen Orten selber überzeugen, und das macht sie ja auch. Es war zwar, als die städtischen Finanzen noch nicht im Schiefen lagen wie jetzt, immer wieder sarkastisch davon die Rede, dass die Kulturkredite in der Stadt Bern – und nicht nur hier – von Politik und Volk bloss durchgewinkt würden. Das lässt sich auch anders kommentieren: Als Bekenntnis zur Kultur überhaupt, aber ganz speziell zu der Kultur, die hier gemacht wird. Zur Kulturstadt Bern, die, auch wenn nicht alle in gleicher Weise daran teilnehmen, für die Mehrheit der Bernerinnen und Berner längst Teil des städtischen Lebens und damit ihres eigenen Alltags ist. Seit gut 20 Jahren liegt die Zustimmung zu Kulturkrediten in Bern bei 70 Prozent und mehr. Das ist kein Winken, das ist ein gewaltiger Vertrauensbeweis. Kulturstadt zu sein, nicht nur als Gefühl, sondern als Haltung, gehört zum Selbstverständnis Berns. Zu seiner Lebensqualität.

Jetzt droht Stagnation, Abbau. Der Gemeinderat will, dass Bern spart, massiv, 50 Millionen innert weniger Jahre, 1,34 Millionen Franken in der Kultur. Die Szenarien, die sonst drohen, sind düster: Tiefrote Budgets, vielleicht sogar Bevormundung durch den Kanton, Steuererhöhung.

Es ist der Kultur vorbehalten, unvernünftig zu sein, das macht sie, auf beiden Seiten des Vorhangs, auch so verführerisch. Deshalb sagen wir geradeheraus: Nein, keine Kürzungen und Schliessungen, nicht in der Kultur.

Es geht um das Tafelsilber. Um etwas lange Gewachsenes – die Stadtgalerie und ihre Geschichte stehen dafür beispielhaft. Die Stadt trägt seit vielen Jahren grosse Sorge zur Kultur. Bereits seit 2008 werden Kulturpolitik und Kulturförderung in einer Vierjahresplanung festgeschrieben, damals gleich verbunden mit einer 10-prozentigen Erhöhung der Kulturausgaben. 2019, zu Beginn der nun laufenden Vierjahresplanung und ausgehend von einer von der Stadt selber veranlassten Kulturstrategie 2017-2028, wurde der Kulturkredit um rund 7 Prozent erhöht. Als Gründe wurden unter anderem die Unterfinanzierung einiger Institutionen und der dadurch drohende Qualitätsverlust für die Berner Kultur genannt. In den Ausführungen der Stadt war vom gesellschaftlichen Nutzen der Kulturförderung die Rede, und dass «die städtische Kulturförderung bestrebt sein muss, in ihrer Tätigkeit das gesamte Bild und die gesamte Wirkung des kulturellen Lebens vor Augen zu haben.»

Zwei Jahre später ist alles anders. Die Stadt untergräbt ihre eigene Kulturpolitik. Der eine Kredit für Promotion und Distribution, der 2019 eingeführt wurde, soll bereits wieder gestrichen werden, bevor er richtig zur Anwendung kam. Die städtischen Kulturausgaben, wird uns erklärt, würden nach den vorgesehenen Kürzungen noch immer nicht tiefer liegen als vor der Erhöhung 2019 – und damals sei es der Kultur ja auch nicht wirklich schlecht gegangen. Aber offenbar doch so schlecht, dass die Politik es für nötig befand, teils problematische Unterfinanzierungen zu korrigieren. Was ist nun damit, wenn ab 2024 die Korrekturen nicht mehr spielen?

Die Kulturstadt, die wir geworden sind, droht ins Wanken zu geraten. Im letzten Jahr intervenierten wir erfolgreich bei den vom Gemeinderat eingebrachten Kürzungen, die vor allem die freien Kredite betroffen hätten, weil bei kurzfristigen Einsparungen nicht auf Gelder zurückgegriffen werden kann, die an Leistungsverträge gebunden sind. Die Sparvorschläge des Gemeinderats wurden vom Stadtrat mehrheitlich zurückgewiesen.

Diesmal trifft es die Andern, die Institutionen und Festivals mit Leistungsvereinbarungen und die von der Stadt selber geführte Stadtgalerie. Dort sind es 220’000 Franken, die eingespart würden. 500’000 sind es bei den tripartiten Verträgen, respektive rund 1 Million, wenn Kanton und Regionalkonferenz Bern-Mittelland mitziehen, und 269’000 Franken bei den städtischen Verträgen. Die Kürzungen würden Spuren hinterlassen, im Auftritt, im Programm, beim Personal. Ein Angebotsabbau würde sich auch auf das weitere Umfeld der Kulturveranstaltenden auswirken, auf die Gastronomie, Zulieferer oder Hotels – 1 Kulturfranken, sagt man, setzt weitere 5 Franken Umsatz in Bewegung.

Die Partnerinnen und Partner der Leistungsvereinbarungen könnten ihren Kulturauftrag, den öffentlichen und den eigenen, nicht mehr umfassend erfüllen. Die Schliessung der Stadtgalerie trifft empfindlich auch den Off-Space, die Galerien und die Kunsthalle. Sie können nicht übernehmen, was verloren geht – es ist dann einfach vorbei: 50 Jahre Förderung der jungen Kunst, eine kleine feine Berner Zukunftsplattform.

Die Kulturstadt Bern ist ein Gesamtprojekt. Selbstverständlich kann, wer will, darüber diskutieren, wem innerhalb dieses Gesamtprojekts – also rund 32 Millionen Franken in den vergangenen Jahren – künftig welche Mittel zukommen sollen. Aber das ist jetzt nicht das Thema. Das Tafelsilber ist das Thema. Und was es uns wert ist. Die Kulturstadt Bern hat ihren Preis, die Stadt selber hat viel dazu beigetragen, ihn festzulegen. Das kann sie jetzt doch nicht plötzlich wieder rückgängig machen. Das ist ein Eigentor.

Juni 2021

bekult, Dachverband der Berner Kulturveranstalterinnen und Kulturveranstalter

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und unterschreibe die Petition.
Danke!

STATEMENT t., Theaterschaffende Schweiz, Bern

An die Stadträte*innen der Stadt Bern Mitglieder SBK Stadt Bern Kulturtandems t.Bern,
Theaterhäuser- und Veranstaltende in der Stadt Bern 

Bern, Juni 2021

Keine Kultur-Kürzungen in der Krise

Sehr geehrte Damen und Herren Unser Verband t. – Theaterschaffende Schweiz ist der Berufsverband aller Akteur*innen im professionellen freien Theater. Der Berufs- und Branchenverband ist national tätig, international vernetzt und über die zehn Regionalgruppen vor Ort verankert. Als Berner Regionalgruppe vertreten wir ca. 350 Mitglieder im Kanton, davon 170 in der Stadt und Region Bern. In dieser Rolle ist es uns ein grosses Anliegen, Ihnen unsere Position zu den geplanten Sparmassnahmen der Stadt Bern zu erläutern.

Unbestritten ist die Finanzlage der Stadt bereits vor der Pandemie in Schieflage geraten und Kürzungen in gewissen Bereichen sind wohl unumgänglich. Wir empfinden es aber geradezu als Hohn, wenn die Kulturschaffenden, welche diese beispiellose Krise so existenziell getroffen hat, nochmals bestraft werden sollen.

Die grosse Umfrage der Stadt Bern unter Kulturschaffenden in diesem Jahr hat klar gezeigt, wie prekär die Situation im Kulturbereich zur Zeit ist. Das durchschnittliche Einkommen liegt nur knapp über der Armutsgrenze, mehr als die Hälfte der 400 Befragten verfügen über keinerlei Altersvorsorge, die über die AHV hinausgeht.

Auch wenn jetzt gewisse Öffnungen wieder Livekultur ermöglichen, darf dies nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Krise in der Kultur noch lange nicht ausgestanden ist. Wenn alles gut geht, wird erst im Herbst 2022 wieder eine gewisse Normalität im Kulturbetrieb einkehren.

Keine Frage, die Unterstützungsmassnahmen von Bund, Kanton und löblicherweise auch der Stadt Bern halfen und helfen weiterhin die Kultur am Leben zu erhalten. Die von der rot-grünen Berner Stadtregierung geplanten massiven Kürzungen setzen unser Erachtens aber ein völlig falsches Signal für den Kulturstandort Bern und die hiesigen Kulturschaffenden.

Aus folgenden Gründen lehnen wir die Sparvorschläge im Finanzierungs- und Investitionsprogramm FIT klar ab:

  • Die Kultur wird noch lange an der Krise leiden. Die Hilfsgelder ersetzen die ausgefallenen Einkommen nur zu 80%. Bei den ohnehin tiefen Einkommen der Kulturschaffenden verschärft sich die Situation zusehends. Weiter wartet ab Herbst 2021 ein riesiger Kulturstau, der zusätzlich die ökonomische Situation verschärfen wird. Viele Berner Produktionen sind produziert, konnten jedoch nicht vor Publikum gezeigt werden. Es ist im Interesse aller, den entstandenen Inszenierungen den verdienten Rahmen zu ermöglichen. Dadurch ist es jedoch schwierig, neue Produktionen platzieren zu können oder überhaupt umzusetzen. Wenn die Stadt wirklich ein Bewusstsein für die Lage der Kulturschaffenden hat, kann sie nicht ernsthaft ein solches Kürzungspaket umsetzen wollen.
  • Die Argumentation, dass nur gekürzt wird, was für die Jahre 2020-2023 aufgestockt wurde, greift zu kurz und ist nicht haltbar. Das FIT zeigt ganz klar, dass die Stadt ab 2024 massive Kürzungen bei den Leistungsvereinbarungen (LV) plant. Ebenso wurde die Bundesmillion ersatzlos gestrichen.
  • Ganze Institutionen wie die Stadtgalerie zu streichen widerspricht der städtischen Kulturstrategie. So können die formulierten Ziele nicht erreicht werden.
  • Wo weniger Produktionsmittel zur Verfügung stehen, wird das kulturelle Angebot schmaler. So verliert die Kulturstadt Bern an Bedeutung. Insbesondere wenn die LV ab 2024 gekürzt werden.
  • Wenn gute Produktionsbedingungen fehlen, wird die Stadt für Kulturschaffende unattraktiv. So führen die Kürzungen zu einer Minderung von Diversität und Vielfalt.
  • Starke Theater- und Kulturhäuser mit LV sind eminent wichtig für die ganze Kulturszene. Kürzungen haben hier indirekt immer Auswirkungen aufs Freie Theaterschaffen. In der Folge steht damit weniger Geld für Ko-Produktionen und Gastspiele zur Verfügung. Darunter leiden vor allem die freien Kulturschaffenden und Compagnies.
  • Wenn die Institutionen mit LV ihr Angebot in gleichem Umfang beibehalten wollen, sind sie gezwungen, ihren Eigenfinanzierungsgrad zu erhöhen. Dies führt unweigerlich zu weniger Innovation und weniger künstlerischem Risiko.
  • Ein einfacher Schritt wäre es, den Finanzdruck mit höheren Eintrittspreisen ans Publikum weiterzugeben. Dies kann aber nicht das Ziel einer Kulturpolitik der Beteiligung sein. Die Häuser haben einen gesellschaftlichen Auftrag, für eine möglichst breite Bevölkerung (auch für einkommensschwache Menschen) zugänglich zu sein.
  • Es mutet ziemlich absurd an, wenn die Stadt in einer Pressemitteilung stolz den Anschluss ans Corodis Programm vermeldet und gleichzeitig den Kredit «Promotion Distribution» streicht.
  • Die Mittel für die direkte Förderung bleiben stabil. Doch ist hier anzumerken, dass durch die Kürzung «Promotion Distribution» vermehrt auch Gastspiele von Berner Produktionen darüber finanziert werden müssen und dementsprechend weniger Produktionsgelder zur Verfügung stehen.

Aus diesen Gründen bitten wir Sie, die vorgeschlagenen Sparmassnahmen im Kulturbereich vollumfänglich abzulehnen. In dieser Krise, die die Kulturschaffenden noch lange existenziell beschäftigen wird, der Kultur über Jahre hinaus Produktionsmittel zu entziehen, können wir nicht hinnehmen. Der Kulturstandort Bern braucht keine Lippenbekenntnisse, sondern klare Entscheide für die Kultur. Für ein Gespräch stehen wir Ihnen gerne zur Verfügung.

Freundliche Grüsse t. – Theaterschaffende Schweiz, Bern

Linda Gunst, Nina Kohler, Richard Henschel, Sibylle Heiniger, Matthias Kunz 

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